1. Mai 2011
aus dem Rüsselshemer Echo vom 2.5.2011:
Von Ernst Eelmae |
„Faire Löhne für gute Arbeit“
1. Mai-Kundgebung: Gewerkschafter sagen auf dem Löwenplatz Armut und Dumpinglöhnen den Kampf an
Fast hätten die Glockentöne der Stadtkirche ein treffliches Mahngeläut abgegeben. Sie begleiteten Jochen Nagel als Auftaktredner der Mai-Kundgebung des DGB-Ortsverbandes ...
Fast hätten die Glockentöne der Stadtkirche ein treffliches Mahngeläut abgegeben. Sie begleiteten Jochen Nagel als Auftaktredner der Mai-Kundgebung des DGB-Ortsverbandes vor rund 100 Teilnehmern auf dem Löwenplatz. Den engagierten Worten von Heike Muster bei ihrer anschließenden Kampfansage an die Atompolitik hätten sie aber symbolisch noch mehr Nachdruck verleihen können.
Dabei hatte der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon zum Auftakt dieses Thema gestreift aus Anlass des 25. Jahrestages der Katastrophe von Tschernobyl wie der aktuellen Krisenlage im japanischen Fukushima. Er forderte ein Ende der irreführenden Versicherungen, dass hierzulande solche Unglücke nicht passieren könnten. Vielmehr hätten sie gezeigt, dass diese Technologie nicht beherrschbar sei. Daher seine Forderung nach sofortigem Abschalten aller Meiler und einer nachhaltigen Energiewende. Dafür stünden die Gewerkschaften. Und die Politik habe den Interessen der Menschen zu dienen, nicht den Profiten und Großkonzernen.
In den Mittelpunkt seiner Ausführungen hatte Nagel die Forderung gestellt nach einer anderen Form des Wirtschaftens: „Wir brauchen einen handlungsfähigen demokratischen Sozialstaat, der in der Lage ist, die sozialen Verwerfungen unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems so weit wie möglich auszugleichen“.
Nötig sei eine öffentliche Infrastruktur, die allen Menschen die umfassende Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sichere und den sozialen Zusammenhalt fördere, so Nagel.
Zu finanzieren sei dies aus einer gerechteren Besteuerung von Vermögen, Erträgen und Erbschaften und einer Finanztransaktionssteuer. Dann würde auch der Sozialabbau vermieden, der auch in andere Länder exportiert werde.
Seine Kampfansage galt Armut und Dumpinglöhnen, ganz dem zentralen DGB-Motto des Tages entsprechend, das „Faire Löhne – Gute Arbeit – Soziale Sicherheit“ lautete. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sah er verletzt bei den Hartz-IV-Verhandlungen, wo nicht der Mensch im Mittelpunkt gestanden habe.
Sein besonders Augenmerk galt dem Bildungssektor, wo ein Abschluss noch immer vom sozialen Status der Familie abhänge. Er zitierte aus dem Bildungsbericht 2010, wonach in Deutschland 1,5, Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren keine abgeschlossene Ausbildung hätten, 400 000 sich in Warteschleifen befänden, weil es an Ausbildungsplätzen fehle. Und:
7,5 Millionen Erwachsene könnten nicht richtig lesen und schreiben, „weil unser Bildungssystem nicht funktioniert“. Dies nannte Nagel einen sozialpolitischen Skandal ersten Ranges. Gute Bildung erfordere mehr Zeit für Förderung und Unterstützung in allen Einrichtungen. Zu den aktuellen Kürzungsbeschlüssen der hessischen Regierung im Bildungsbereich forderte er „Widerstand gegen diese Politik nach hinten“.
Klare Forderungen stellte auch Heike Muster (Verein Energiewende) in ihrer Rede zu den „Lügen vom Atomstrom“. Zu Katastrophen wie in Tschernobyl und Fukushima werde es „immer wieder kommen, auch in Biblis, wenn wir nicht dem Menschen verachtenden Spuk ein Ende setzen“. Mit Biblis vor der Tür lebten die Menschen seit 37 Jahren in einem „Strahlenbad und tödlichen Zentrum“. Gefahren aus Materialverschleiß, Terror-Risiken und Flugzeugabstürzen würden unverantwortlich verharmlost, ebenso die „Störfälle ohne Ende dort“. Im Ernstfall seien mehr als eine Million Menschen betroffen. Was das rechnerische Restrisiko dieser Energiepolitik bedeute, zeige jetzt Fukushima auf.
Zusammen mit der weiter ungeklärten Entsorgungsfrage für Atommüll erkannte sie in dem Moratorium lediglich eine „Überbrückung von Wahlen“ mit Geschachere und Geschiebe. Angesichts der großen Beteiligung an den jüngsten Demonstrationen sah sie einen „heißen Sommer“ aufziehen. Ruhe werde es erst geben, wenn alle Atomkraftwerke ohne Ausnahme abgeschaltet würden – „jetzt und für immer“.
Die lebhaften Gespräche vor und nach der Kundgebung bei Kaffee und auch einem Gläschen Sekt, von der Piazza-Bar offeriert, wurden bei der Mai-Feier i am Naturfreundehaus fortgesetzt. Unter Beteiligung von DGB-Aktiven war dort für das leibliche Wohl mit Grillgerichten sowie Kaffee und Kuchen gesorgt. Einen kulturellen Beitrag leistete Ernesto Schwartz als Musiker und Sänger.
links Kundgebung: Zwischen Gewerkschaftsrot und Anti-Atom-Gelb – DGB-Ortsverbandsvorsitzender Bernhard Grunewald (rechts), Heike Muster (Energiewende) und Jochen Nagel (GEW) bei der Mai-Kundgebung auf dem Löwenplatz.
rechts: Bei der Feier am Naturfreundehaus setzte sich mit der Begrüßung durch Vorsitzende Heike Pockrandt und Liedern von Ernesto Schwartz der politische 1. Mai fort, ohne dass die Geselligkeit zu kurz kam.
Fotos: Ernst Eelmae