1. Mai 2022
Das traditionelle Familienfest mit einem Friedenspolitischen Ratschlag:
In diesem Jahr mit einem friedenspolitischen Impuls von Ingrid Reidt.
Friedenspolitischer Impuls Naturfreund:innen Rüsselsheim 1. Mai 2022
Redebeitrag Ingrid Reidt für pax christi Rhein-Main
Liebe Naturfreundeinnen und Naturfreunde, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Danke für die Einladung heute hierher ins Naturfreundehaus zum Familientag der Arbeit. Es eine ganz großartige Zusammenkunft von Menschen - jedes Jahr aufs Neue und dies an einem ebenso großartigen Ort in Rüsselsheim. Ein Ort, dem man von außen ansieht, wo für er steht:
Für menschliche Begegnung, Beheimatung, Weltoffenheit, hohes ehrenamtliches Engagement – und nicht zuletzt für Naturschutz und Nachhaltigkeit.
Ein Ort getragen von Menschen und der Liebe zur Mensch und Natur. Eine Liebe, die seit jeher immer eine politische Liebe ist. Es geht hier in vielem hier um die drei Begriffe unserer Gegenwart, die alle samt aktueller scheinen denn je:
Um Gerechtigkeit, um Klimaschutz, Bewahrung der Schöpfung, und um das, was mehr denn je und im wahren Sinn des Wortes erneut unter Beschuss steht: Frieden!
Als Willi Braun mich Mitte März angefragt hat, aus aktuellem Anlass heute einen friedenpolitischen Impuls beizutragen, da war es zwei Wochen her, dass Russland in die Ukraine einfiel. Schon zu diesem Zeitpunkt zeigte sich der Krieg in grausamem Gesicht: Zerstörung, Hass, Gewalt und das von Menschen gemachten Leid in einer Dimension, die ich schon da emotional kaum auszuhalten vermochte.
Ich hatte zutiefst gehofft, dass es bis zum 1. Mai gelänge, dem Krieg und dem Elend Einhalt zu bieten, mit Diplomatie und Sanktionen, oder, dass zumindest eine Aussicht auf Waffenstillstand bestünde. Das war wohl naiv. Der Krieg ist eskaliert:
Zu tief die politischen Gräben, zu manifest die Ideologie und Aggression des Autokraten Putin, zu zementiert ein seit Jahren schwelender Konflikt,
zu menschen- und menschrechtsverachtend schließlich die gezielten kriegerischen Einschläge, die mit der Invasion Russlands in die Ukraine einhergehen.
Die kriegerische Realität dauert an und säht mit jedem Tag mehr Elend und Hass. Häuser, Infrastruktur, ganze Städte werden zerbombt, Leichen säumen die Straßen – täglich der gnadenlose Beschuss von Zivilisten durch Bombenhagel, die Gräueltaten von Butcha, die Drohung mit Atomwaffen – die Spirale der Gewalt reißt nicht ab.
Und immer mehr sind involviert. – Lasst uns kurz leise werden und lasst uns denken an die unzähligen Familien, Kinder, Frauen, Alte, Kranke, die fliehen konnten und nun heimatlos sind und an die, die bleiben und unter widrigsten Bedingungen irgendwie Schutz suchen, die fliehen.
Männer werden zu Kriegern in einem Krieg, den sie nie wollten. Sie kämpfen für ihr Leben und verlieren es dabei.
Lasst uns denken an die unzähligen Getöteten, an die Hinterbliebenen, die traumatisiert zurückbleiben.
Mehr als 60 Tage ist ein erbitterter Vernichtungs- und Stellvertreterkrieg ist im Gange – mit verheerenden unermesslichen humanitäre, globalen politischen Folgen: Weit über die ukrainischen Grenzen hinaus bedeutet der Krieg Hunger, Verelendung und Tod der Ärmsten der Armen in den Drittländern, die wirtschaftlich angewiesen sind auf Getreide und Lebensmittel sind, die nun unbezahlbar werden.
Was bleibt zu sagen, noch immer und wieder erneut verschlägt es mir die Sprache
Dieser Krieg ist wie jeder Krieg! eine Katastrophe.… im wahren Sinn des Wortes: ist eine Wende der Menschheit in den Abgrund.
Der Ernstfall ist längst nicht mehr Frieden. Der Ernstfall ist Krieg und der regiert global das Feld – politisch, wirtschaftlich, moralisch - faktisch wie auch verbal.
Der Begriff der „Zeitenwende“ ist Sinnbild dafür: Mit einem Schlag sind mit den ersten Toten friedenspolitische Grundsätze gefallen. Die gegen das Wettrüsten und antimilitärische Friedensverständigung. Wir kennen alle die Summen, die für Aufrüstung, Militarisierung und Verteidigung beschlossen und freigesetzt wurden.
Unüberhörbar der laute Schrei nach Hilfe, nach schwerem Geschütz und kriegerischer Unterstützung, um diesem unberechenbarem Aggressor das Handwerk zu legen.
Im verzweifelten Versuch, ein Ende des Krieges herbeizuführen, wird einem alten Muster gefolgt. Schweres Gerät wird geliefert, und die Sicherheitspolitik setzt wieder auf Aufrüstung, Stärkung des Militärs.
Es gewinnt eine „Art Mythos“ überhand. Der Mythos von der „erlösenden Gewalt“, der darin besteht, dass Gewalt nur mit noch mehr Gewalt besiegt werden könne.
Doch im Krieg gibt es keine Sieger. Krieg kennt am Ende nur Verlierer: Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft, Natur.
Einzig ausgenommen ist: die Rüstungsindustrie. Sie verzeichnet – in Kriegszeiten Extremgewinne. Sie ist die einzige die profitiert.
Doch: Krieg führt nicht zum Frieden. Krieg nährt den Krieg. Krieg baut auf Gewalt auf und jede Gewalt gebiert neue Gewalt begleitet von der Sprache des Hasses von der Dämonisierung und der Aggression. Tag für Tag erleben wir das neu. Krieg entsteht aus Gefühlen der Bedrohung, aus Angst vor Unterdrückung und Unfreiheit.
Krieg ist ein Ausdruck von Schwäche und setzt militärisch auf die Macht des Stärkeren. Der Kriegsführer ermächtigt sich, unterdrückt, erpresst.
Und, das ist das perfide, er zwingt Mensch und Weltpolitik in ein nicht auflösbares, ethisches Dilemma, ein Dilemma, das gegenwärtig erleben und das emotional eigentlich nicht auszuhalten ist
Wir haben alle die Stimme von Präsident Selenskyj im Ohr:
Da ist das zutiefst menschliche Bedürfnis und Recht des ukrainischen Volkes auf Verteidigung zur eigenen Rettung und zum Schutz von zum Schutz von Land und Volk und demokratischen Werten. Wie es ist, selbst unter Beschuss zu stehen, mit Kindern, Eltern im Bombenhagel oder den Mann im Schützengraben tot zu sehen.
Da ist die Eskalationsspirale die mehr als berechtigte Sorge vor dem drohenden Weltkrieg. Mehr Kriegsgerät befeuert den erbitterten militärischen Kampf und potenziert menschliches Leid und Zerstörung.
Ein Dilemma, das unauflöslich ist und unmenschlich – wie auch immer agiert und entschieden wird.
Es ist unmenschlich, weil der Krieg unmenschlich ist.
Diese scheinbar profane Erkenntnis scheint mir wichtig für die gesamte politische Debatte, in der sich Fronten verhärten und Lager entstehen. In der Befriedung von Krieg geht es nicht darum, wer Recht oder Unrecht hat, sondern einzig darum, dass der Krieg endet.
Als Betriebsseelsorgerin aber auch als Ehrenamtliche der Friedensbewegung „pax christi“ bin ich selbst friedenspolitisch aktiv. Seit ihrer Gründung 1945 – und aus der Schreckenserfahrung des Nationalsozialismus - machen wir uns –als internationale christliche Friedensbewegung gemeinsam mit vielen anderen Initiativen stark für eine Politik der Verständigung und der aktiven Gewaltlosigkeit, lokal und global.
Wie viele friedensbewegte Initiativen sind auch wir erschüttert von den kriegerischen Ereignissen, wir verurteilen Putins Angriffskrieg, machen ihn als Autokraten, nicht aber das russische Volk selbst für den Krieg verantwortlich. Geleitet sind wir – allem zum Trotz - von der Vision des Friedens sehen wir die Zukunft in weltweiter Abrüstung und halten daran im Grundsatz fest.
Auch aus christlicher Sicht gibt nur eine einzige menschenwürdige Antwort auf Krieg:
Und das ist Kein Krieg! à Kein Krieg – das ist der Weg zum Frieden!
Waffenstillstand und Deeskalation des Kriegsgebarens um Menschenleben zu retten, und um den Frieden den Weg zu ebnen!
Dr. Friedrich Glasl, Konfliktforscher aus Wien nennt entscheidende Stellschrauben zur notwendigen Deeskalation, die ich bedenkenswert finde:
Soforthilfe: Waffenruhe herbei führen/ Waffenstillstand; humanitäre Hilfe
Friedensprozesse zur Erstellung einer Friedensordnung
- Bewaffnungsreflex meiden: Denn es gibt ein Paradoxon des Wettrüstens: Was verhindert werden soll, wird gerade dadurch herbeigeführt
- Es braucht unentwegte weitere Versuche zum direkte Dialog, kein Kontaktabbruch
- Konsens über unerwünschte Zukunft betonen: Was wollen beide nicht!
- Kunst, Sport, Kunst als wichtige Verbindungslinien: Gemeinsames nicht stoppen -
- Verhandlungsangebote statt Forderungen
- Klare Haltung aber Vermeidung verbal entgleister öffentlicher Anprangerung.
- Einbezug von neutralen Akteuren Österreich, Schweiz als Moderator
- Gedanken an den Frieden nach dem Krieg. Dazu braucht es achtungsvolle Kontakte
Wir hier vor Ort: Humanitäre Hilfe! Nicht das russische Volk verantwortlich machen! Positive Appelle der Menschlichkeit an die Mächtigen: Schont Kinder/ Familie…
Es braucht weltweite Entschlossenheit, diesen weiter eskalierenden Krieg zu entschärfen - mit Aufklärung, Diplomatie, humanitären Mitteln. Dazu gehört, Falschinformation von russischer Seite aufzudecken und all jene in Russland auch zu stärken, die Widerstand leisten.
Es braucht unsere große internationale humanitäre Hilfsbereitschaft auf allen Wegen und Kanälen. Es braucht ganz konkrete spürbare Solidarität – auch von uns.
Und: Es braucht dringendst hierzulande und weltweit die selbstkritische friedenspolitische Reflexion auf das, was gerade geschieht: nämlich die Abkehr von weltweiter militärischer Aufrüstung und kriegerischer Eskalation.
Mich persönlich bewegen zwei Szenarien:
Erstens: Die längst vergessenen Bilder der ersten Kriegstage, in denen es gelang, Panzer zu stoppen, weil Menschen sich vor sie stellten und Beschuss verhindern konnten.
Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin.
Möge die Menschlichkeit siegen, Soldaten die Befehle verweigern, die Kämpfer an der Front sich als Brüder und Schwestern die Hände reichen.
Lasst uns auf allen Ebenen Deserteure unterstützen.
Ein zweiter Blick gilt den Frauen in diesem von Männern geführten Krieg.
Es waren mutige russische Mütter, die unmittelbar nach der Invasion und - aller Gefahr zum Trotz- aufbegehrten, aufschrien und sich gegen Putin und seinen als sog. Spezialoperation titulierten Krieg stellten. Sie weigerten ihre Söhne in den Krieg zu schicken. Es war der Schrei der Mütter um ihre Kinder, für mich ein Schrei für Menschlichkeit, gegen die Sinnlosigkeit von Krieg.
Dieser mutige Widerstand und von Frauen und Müttern berührt mich.
Ich schließe mit dem Auszug eines Lied(textes), der die Haltung zu Militär und Krieg durch die Augen liebender Mütter und liebender Eltern sieht: Ein geschätzter Kollege aus pax christi hat mich auf dieses wie ich finde wunderbare Lied aufmerksam gemacht…
Nein, meine Söhne gebe ich nicht, von Reinhard Mey:
Ich denk', ich schreib' euch besser schon beizeiten
Und sag' euch heute schon endgültig ab
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten - Um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab'!
Ich lieb' die beiden, das will ich euch sagen - Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht
Und die, die werden keine Waffen tragen!
Nein, meine Söhne geb' ich nicht
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!
Ich habe sie die Achtung vor dem Leben - Vor jeder Kreatur als höchsten Wert
Ich habe sie Erbarmen und Vergeben - Und wo immer es ging, lieben gelehrt!
Nun werdet ihr sie nicht mit Hass verderben –
Keine Ziele und keine Ehre, keine Pflicht - sind's wert, dafür zu töten und zu sterben
Nein, meine Söhne geb' ich nicht
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!
Ganz sicher nicht für euch hat ihre Mutter - Sie unter Schmerzen auf die Welt gebracht
Nicht für euch und nicht als Kanonenfutter - Nicht für euch hab' ich manche Fiebernacht
Verzweifelt an dem kleinen Bett gestanden -Und kühlt' ein kleines glühendes Gesicht
Bis wir in der Erschöpfung Ruhe fanden
Nein, meine Söhne geb' ich nicht
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!
Sie werden nicht in Reih' und Glied marschieren
Nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt
Auf einem gottverlass'nen Feld erfrieren -. Während ihr euch in weiche Kissen setzt!
Die Kinder schützen vor allen Gefahren - Ist doch meine verdammte Vaterpflicht
Und das heißt auch, sie vor euch zu bewahren!
Nein, meine Söhne geb' ich nicht
Ich werde sie den Ungehorsam lehren - Den Widerstand und die Unbeugsamkeit
Gegen jeden Befehl aufzubegehren - Und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit!
Ich werd' sie lehr'n, den eig'nen Weg zu gehen
Vor keinem Popanz, keinem Weltgericht
Vor keinem als sich selber g'radzustehen!
Nein, meine Söhne geb' ich nicht
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!
Und eher werde ich mit ihnen fliehen - Als dass ihr sie zu euren Knechten macht
Eher mit ihnen in die Fremde ziehen - In Armut und wie Diebe in der Nacht!
Wir haben nur dies eine kurze Leben - Ich schwör's und sag's euch g'rade ins Gesicht:
Sie werden es für euren Wahn nicht geben!
Nein, meine Söhne geb' ich nicht
Danke für Eure Aufmerksamkeit!